Idee und Umsetzung als gemeinnütziges Projekt: www.diekleinechronik.de
 Autor: Harald Kandler

Mit freundlicher Bereitstellung einiger Bilder von Hans-Jörg Holzamer in Heppenheim

sowie redaktionellen Rat von Frau Dr. Weisrock aus Nieder-Olm

Wilhelm Holzamer

Schriftsteller und Literatur-Rezensent,

1870 in Nieder-Olm geboren,

verheiratet in Heppenheim,

1907 gestorben in Berlin,

beigesetzt in Heppenheim.

 

geboren in Nieder-Olm war ein deutscher Schriftsteller und Literatur- Rezensent.

Er galt in seiner  Zeit als einer der begabtesten Talente der deutschen Literaturszene und war Schöpfer einer demokratisch-kritischen Heimatdichtung.

Er wurde am 28. März 1870 im rheinhessischen Nieder-Olm als Sohn des Sattlers Heinrich Holzamer geboren. Seine Mutter Catarina, geb. Meier, stirbt früh. Vier der sechs jüngeren Geschwister erreichen das Erwachsenenalter. Sein Bruder Franz, später Reichstagsabgeordneter in Berlin, steht ihm am nächsten. Sein Großvater Andreas Holzamer, Leiter einer privaten Grundschule, übernahm die Erziehung des Knaben. Er war ein engagierter Demokrat und Anhänger der Deutschen Revolution von 1848/49.

Im Drama „Um die Zukunft“ (1906) setzte er seinem Großvater, literarisch „Andreas Krafft“  genannt, ein Denkmal. Er beschreibt den Kampf des Lehrers „Krafft“ gegen den Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche. Andreas Holzamer bleibt mit seiner Weltoffenheit, antiklerikaler Grundhaltung und dem Streben nach liberaldemokratischer Gedankenfreiheit zeitlebens das hochverehrte Vorbild des Enkels.

Die Lehrerausbildung in Bensheim

 

Auf den Schulabschluss folgte von 1886 bis 1889 eine Lehrerausbildung am „Ernst-Ludwig- Seminar“ in Bensheim.

1889 kam der liberale und weltoffene Holzamer in das erzkatholische und konservative Heppenheim. Dort unterrichtete er als Lehrer an der Realschule in den Fächern Deutsch, Musik und Zeichnen.

1886

Barbara und Andreas Holzamer

1870*

Wilhelm Holzamer

Die Abschlussklasse seiner Lehrerausbildung,Wilhelm Holzamer,

zweite Reihe von oben, vierter von rechts

1893

Familiengründung in Heppenheim

 

Holzamer ließ sich in Heppenheim nieder und heiratete im Jahre 1893 Marie Hamel, Tochter eines wohlhabenden Brennstoffhändlers.

 

 

Wilhelm und Marie

Die ungeliebte Lehrtätigkeit

"Es ging um ein rasches Brot – und auch ein bisschen weltunerfahrener Idealismus war dabei. Alter Schullehreridealismus, der von der Zeit und in der Zeit nichts gelernt hatte."

"Dann unterrichtete ich dreizehn Jahre lang an der Großherzoglichen Realschule in Heppenheim an der Bergstraße ... und arbeitete, durstig, verlangend, unbefriedigt, aber rastlos"

Er beginnt neben seiner zeitraubenden und ungeliebten Arbeit als Lehrer („dafür kann man die dümmsten Stoppelkälber gebrauchen“) eine intensive schriftstellerische Tätigkeit. Seinen Gedichtband „Zum Licht“ (1897) und die Erzählungen „Auf staubigen Straßen“ (1898) musste er noch vor der Heppenheimer Gesellschaft geheim halten. Sein literarisches Oeuvre bewegte sich in dieser Zeit im Bereich zwischen Heimatverbundenheit und Weltbürgertum. Später wird er im Roman „Der Entgleiste“ über diese Zeit schreiben: „(...) und all die Leute hier. Seine Gedanken waren drüben überm Rhein. Wie hatte man da doch andere Interessen, eine andere geistige Beweglichkeit. Hier ist alles plump, schwerfällig, beengt und versimpelt“

Wilhelm Holzamer als junger Realschullehrer,

auf dem Klassenbild " sogar ein Mädchen mit Sondergenehmigung war dabei

Das Lehrerkollegium in der Heppenheimer Ober-Realschule

Ende des 19. Jahrhunderts

Die Zeit des Aufbruchs, der Reformbewegung, des Jugendstils ist die Zeit des Wilhelm Holzamer

Am Ende des 19. Jahrhunderts herrschte unter den Literaten und Intellektuellen eine geistige Aufbruchstimmung. Sie agierten im Spannungsfeld von Naturalismus, Psychoanalyse, Symbolismus und literarischem Realismus. Schnell fand der junge Schriftsteller in diesen Kreisen seinen Halt. Er wird in dieser Zeit stark von den Dichtern Gustav Falke, Detlev von Lillecron, C. F. Meyer und Richard Demel geprägt. Umgekehrt inspiriert Holzamer mit seiner liberal-emanzipatorischen Weltläufigkeit den Dramatiker Carl Zuckmayer und die südhessische Dichterin Elisabeth Langgässer. Der damals im wilhelminischen Kaiserreich vorherrschenden national- autoritären Strömung setzt er in seinen Werken ein republikanisch- freiheitliches Denken entgegen.

Sein Debüt-Roman über den Schneider Peter Nockler, der seiner Verlobten in den Odenwald folgt, begründete den literarischen Ruhm Holzamers. Die hier zu beobachtende Affinität zu gesellschaftlich-sozialen Alltagsfragen und Zuneigung zu den kleinen Leuten wird sein Werk zeitlebens begleiten. Er schuf damit eine demokratisch-kritische Form der Schilderung seiner heimatgeprägten Menschen.

Die sehr detailreich geschilderte Reise der Brautleute in der Mitte des 19. Jahrhunderts von den Rheingegenden über Heppenheim in das kleine Odenwalddörfchen Mittershausen ist auch von großem lokalgeschichtlichen Wert. Die Örtlichkeiten sind genau beschrieben: In einer Brauerei am Heppenheimer Bahnhof heuert das junge Paar einen Fuhrmann an. Bei der anschließenden Fahrt in den Odenwald lässt Holzamer den Leser gleichsam auf dem Gefährt„mitfahren“. Hier flossen seine guten Kenntnisse des Odenwaldes und seiner Bewohner ein, den er seit 1886 erwanderte.

 

Später lässt er den Schneider die freisinnigen Rheinhessischen Charaktere seiner Heimat mit den Odenwälder vergleichen: „Ja der Odenwald gefiel ihm, aber die Odenwälder (...). So was unbeholfenes, Klobiges, Ungeschliffenes fand man doch „drüben“ nicht.“ (...) Und die Burschen! Die glattrasierten, spitzen Gesichter, die kleinen Augen, die dünnen Lippen! (...) Dazu gingen sie so schwerfällig und unbeholfen. Sie tappten nur so hin. Breit setzten sie sich an die Tische und rauchten. Sie tranken nicht rasch – auch das erschien schwerfällig bei ihnen, und der Wein, der allerdings schlecht und sauer war, belebte sie nicht.“

 

 

 

 

 

Dem Zauber der Bergstraßenlandschaft konnte er sich nicht entziehen. Im häufig nachgedruckten Artikel „Frühling an der Bergstraße“ (Frankfurter Zeitung v. 27.4.1902) gerät er ins Schwärmen: „Früher ist er hier als sonst wo im deutschen Lande. Über die Ebene breitet er sich aus und feiert Festgelage, auf die Berge steigt er und jubelt ins Land. Und alles schmückt er, wo er ging und stand, reicher als sonst wo, voller, tiefer, denn hier ist seine Wiege und hier lebt er seine erste Jugend, der deutsche Frühling.“

1905 erschien sein aufwändig gestalteter Band über das Großherzogtum Hessen, das Theodor Heuss, Schriftsteller und nachmaliger erster Präsident der Bundesrepublik Deutschland, 1937 als „großes Buch“ bezeichnete. Hier malte der Schriftsteller ein prächtiges Bild seiner Heimat, ohne seine kritische Sichtweise aufzugeben:

 

„Reich hat die Natur ihre Gaben an der Bergstraße ausgeteilt, ein guter Teil des Völkerverkehrs nahm ihren Weg an ihr vorbei, es ist zu wundern, wie trotz der Fülle der geschichtlichen Ereignisse die mit diesem Landstrich verknüpft sind, sich hier keine Sammelpunkt einer vollkommeneren und höheren Kultur bilden konnte, oder bilden wollte. Hier blieben die Bewohner zu behäbig und geruhsam in der Fülle der Gaben, die die Natur ihnen spendete ohne eigene oder wenigstens allzugroße Mühe. Hier fehlt der Auftrieb, das Streben, die Bewegung. (...) Der Bergstraße hat das Ringen gefehlt, da mussten die Bewohner in geistiger Trägheit erstarren.“

 

Besonders hatte es dem jungen Lehrer der Weinbau angetan, für den er lebhaftes Interesse zeigte. Eine seiner hervorragendsten Erzählungen „Herbst“ spielt während der Traubenlese.

1899

Das Holzamer-Haus in Heppenheim

Inspiriert vom Jugendstil und der neuen Kunst des Bauens, beauftragte Wilhelm Holzamer den bekannten Bergsträßer Architekten Georg Metzendorf mit dem Entwurf einer kleinen Landhausvilla. Mit finanzieller Absicherung seines Schwiegervaters Jacob Hamel ist das Bauwerk schnell vollendet. Es gilt heute als ein bedeutendes Zeugnis der Reformbewegung um die Jahrhundertwende und als Frühwerk Metzendorfs. Ende 1900 ist das Haus bezugsfertig und wird bald Treffpunkt zahlreicher illustrer Dichterkollegen. Holzamer selbst hat engagiert das Interieur mitgestaltet, von dem noch etliche Stücke erhalten sind.

Joseph Maria Olbrich, der Kopf der Darmstädter Künstlergruppe, war mit Holzamer eng befreundet. Er steuerte für die Ausstattung Wein- und Sektgläser bei, die er selbst bemalte und anfertigen ließ. Das wunderschöne Haus ist jugendstilgeprägt und entspricht ganz dem Zeitgeschmack der Reformbewegung.

 

Man kann das imposante Gesamtkunstwerk noch heute an der Lorscher Straße 21 in Heppenheim bewundern. Ideell entspricht das Haus ganz Holzamers schriftstellerischen Prinzipien, der Verbindung fortschrittlicher Ideen mit dem neuen Heimatstil.

 

Großherzog Ernst Ludwig

Joseph Maria Olbrich

1900

Darmstadt

Um 1900 wurde der Förderer der Künste, Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (1868-1937), auf den engagierten Dichter aufmerksam, dessen Bekanntheitsgrad stetig wuchs. Ludwig, der eine Schar begabter Künstler, allen voran Joseph Maria Olbrich, nach Darmstadt berufen hatte, beauftragte Holzamer mit der Organisation der „Darmstädter Spiele“. Die „Spiele“ waren das Begleitprogramm für die erste Jugendstilausstellung „Ein Dokument Deutscher Kunst“ 1901.

Für ihn war diese Berufung eine Befreiung und eine Chance zur Flucht aus provinzieller Enge.

Seine eindeutig sozialdemokratische Gesinnung war dabei kein Hindernis, denn er stellte nie das monarchistische Prinzip der Staatsordnung in Frage. Der von ihm hochgeschätzte Großherzog strebte wie er selber nach Fortschritt, Toleranz und freier Entfaltung der Künste. Holzamer steuerte für das ambitionierte Gesamtprogramm auch eigene Stücke bei.

 

 

 

 

Nina Carnegie Mardon

Unter den Mitwirkenden begegnete er der wohlhabenden Schauspielerin und Frauenrechtlerin Nina Carnegie Mardon (1873-1946). Die kluge und modern aufgeschlossene Deutschbritin verkörperte für Holzamer den Typ einer weltläufigen Künstlerpersönlichkeit, von der er zeitlebens fasziniert war. Mit ihr fühlte er sich seelenverwandt. Sie erschloss ihm neue Perspektiven, die seinen Horizont erweiterten. Fernab der als eng und provinziell empfundenen rheinhessischen Heimat genossen sie ihr Liebesglück auf der Nordseeinsel Helgoland. Nina C. Mardon wird seine Lebenspartnerin bis zu seinem Tod im Jahre 1907 bleiben.

Unter dem für ihn als elementar empfundenen Meereserlebnis schrieb er seine See- und Frauenromane „Die Sturmfrau. Eine Seenovelle“, 1902,

„Inge. Ein Frauenleben“, 1903 und „Ellida Solstratten. Ein Roman,“ 1904. Diese Schriften sind deutlich von der Philosophie Nietzsches und den Werken Henrik Ibsens geprägt. Die Figur der „Ellida“ trägt Züge seiner Geliebten. Sehr kenntnisreich und einfühlsam beleuchtet er in diesen Büchern das weibliche Seelenleben.

 

 

Wilhelm Holzamers sieben Kinder. Hinten die beiden ältesten Töchter Ilse und Luise.

Paris

1902

1905

trennte er sich von seiner Ehefrau Marie, mit der er sieben Kinder hatte und geht nach Paris. Diese turbulenten Erlebnisse verarbeitet er in seinem Erfolgsroman „ Der Arme Lucas“ (1902), der autobiographisch geprägt ist: „Ich bin halt auf dem Weg abgestrichen worden, ich bin nicht in die rechte Furche gefallen.“

Holzamer hat die Trennung von seiner Ehefrau Marie und die damit verbundene komplizierte familiäre Situation nie verwunden. Davon zeugen auch seine Briefe an die beiden erstgeborenen Töchter Ilse und Luise. Die Pariser Jahre verliefen für ihn unglücklich.
Nach gesundheitlichen Zusammenbrüchen folgte ihm Nina Mardon um ihm nahe zu sein. Sein Gedichtszyklus „Der Abschied“ entstand in seiner schwersten depressiven Lebensphase im Jahre 1903 als begrüßendes Geschenk für Nina Mardon.

Er verdingte sich als Lohnschreiber für fast alle deutschen Tageszeitungen und schreibt als maßgeblicher Literatur-Rezensent unzählige Beiträge für die „Frankfurter Zeitung“. Dabei prägt er die Literatur- Szene durch die Verbundenheit mit dem Berliner Verleger Eugen Diederich. Geldsorgen bestimmen seinen Alltag. Er lebt nur von seinen Tageseinnahmen, alle festen Bezüge schickt er an seine Familie nach Heppenheim.
Seine Lebenskrise im Spannungsfeld zweier Frauen verarbeitete er im Historien-Roman „Der Heilige Sebastian“.

Als einer der ersten deutschen Schriftsteller bedient er sich dabei der Psychoanalyse Siegmund Freuds.

 

 

>> Ich bin halt auf dem Weg abgestrichen worden,

ich bin nicht in die rechte Furche gefallen. <<

Berlin

1905 kehrte er nach Deutschland zurück und nimmt seinen Wohnsitz in Berlin. Er wohnt mit Nina Mardon und zeitweise vier seiner Heppenheimer Kinder und dem verwitweten Vater in der Wilmersdorfer Meierottostraße 6.

In Berlin schloss er sich dem „Friedrichshagener Künstlerkreis“ an, ein von süddeutschem Gedankengut geprägten Treffpunkt von Dichtern, Schriftstellern, Malern und Musikern. Seine Mitglieder verkehrten im „Schwarzen Ferkel“, einer bohèmehaften Lokalität im Zentrum Berlins.

 

Zum Jahreswechsel schrieb er seinen bekanntesten Roman „Vor Jahr und Tag“ (1906), der als Vorabdruck in der Zeitschrift „Daheim“ erschien. Mit ihm kehrt er in die rheinhessische Heimat zurück. Der Roman gehört zu Holzamers ausgereiftester Prosa. Er schildert das Leben der Gastwirtstochter Christiane Dorothea Rosenzweig („Dorth“) aus dem Nieder- Olmer Lokal „Schöne Aussicht“. Die Gastwirtstochter fühlt sich zum Eisenbahn- Bauingenieur Karsten Kamper, Repräsentant der modern-industriellen Zeit, hingezogen. Sie fürchtet aber, als Frau an der Seite eines beruflich zur Mobilität gezwungenen Mannes aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen zu werden. So heiratet sie einen von ihr nicht geliebten Müller aus der Kettenmühle im Selztal. Ergreifend beschreibt Holzamer – ein Spiegel seines eigenen Schicksals? - ihr Ende: „Sie war gestorben ohne das ihr was gefehlt hatte, sie war ausgegangen wie ein Licht; und wie ein Licht brennt, das sich selbst verzehrt, so hatte sie auch gelebt, sie hatte sich selbst verzehrt.“ Kurz vor der Drucklegung des Romans soll er den Versuch unternommen haben, den Schluss des Romans zu ergänzen:

 

„Es ist doch ein großes Glück, gelitten zu haben, um frei zu sein von allem, was Leiden heißt“

 

In seinem autobiographisch geprägten Roman „Der Entgleiste“ (posthum 1910 erschienen) zieht er Bilanz. Hier tritt hervor, was ihn zeitlebens antrieb: Er war ein „Suchender, Erkundender, ein Wanderer im historischen Zeitenbruch zwischen Tradition und europäischer Moderne. Seine stilistische Brillanz und Fähigkeit zur Erkenntnis und Durchdringung der menschlichen Psyche sind hervorstechende Merkmale seiner Werke. Er war kein kühler Beobachter, sondern nahm Anteil an Schicksal seiner oft in konfessionellen Fesseln und starren Regeln gefangenen Protagonisten, die er mit großer Einfühlsamkeit beobachtete. Das macht seine Schriften zeitlos, sie haben bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.

 

Der dramatische Aufbau und die detailreiche Hereinname historischer Fakten und Orte versetzen den Leser in die Rolle eines unmittelbaren Zuschauers. Literaturhistorisch ist eine Einordnung seiner Werke schwierig. Assoziationen zu Fontane, Rilke und Schnitzler bieten sich an. Seine Lyrik ist stark impressionistisch geprägt. Er verarbeitet in ihr Stilmerkmale des Naturalismus und des modernen Symbolismus. Mit seiner Aufgeschlossenheit für die Geistesströmungen des fin de siècle war Holzamer eine Künstlerpersönlichkeit der europäischen Moderne.

„Bei der Lektüre entsteht gelegentlich der Eindruck als ob Holzamer gegen seine eigene Vergänglichkeit anschreibt. Er war ein Schnellschreiber, dem seine Formulierungskunst druckreif aus der Feder lief,“ schreiben Klaus Böhme und Hansjörg Holzamer in ihrer sehr lesenswerten und reich bebilderten Biographie aus dem Jahre 2007.

1907

Wenn ich tot bin, sollst du mein Gedächtnis feiern, und in Liedern will ich und in Blumen leben, in der Menge Wüten und Verachtung – und in deinen Träumen, wenn ich schlafe!*

 

*letzte Strophe des Gedichts 'Letzte Feier'

 

 

Der frühe Tod

Sein Schicksal vorausahnend nimmt er im Gedicht „Letzte Feier“ von Nina Mardon Abschied:

Wenn ich tot bin, sollst du mein Gedächtnis feiern, und in Liedern will ich und in Blumen leben, in der Menge Wüten und Verachtung – und in deinen Träumen, wenn ich schlafe!

 

Vom Honorar seines Romans „Vor Jahr und Tag“ leistete er sich eine Urlaubsreise. Mit Nina und den vier Kindern reiste er auf die dänische Ostseeinsel Bornholm. Unterwegs erkrankte sein ältester Sohn an Diphtherie. Holzamer, geschwächt durch lange Zeiten der Überarbeitung und vorausgegangene Krankheiten, steckte sich bei der Pflege an. Krank kehrte er nach Berlin zurück. Wilhelm Holzamer starb am 28. August 1907 mit nur 37 Jahren im Berliner Elisabethenkrankenhaus infolge der Diphtherie an Herzversagen.

Holzamer wurde in Jena beigesetzt. 1937 wurde seine Urne nach Nieder-Olm überführt. 1954 fanden seine sterblichen Überreste ihre letzte Ruhestätte auf dem Heppenheimer Friedhof.

Nach seinem Tod sorgte sich Nina Mardon um seinen Nachlass und gab einige unveröffentlichte Schriften heraus, u. a. den Roman „Der Entgleiste“, 1910, eine Sammlung seiner „Gedichte“, 1912, die „Pariser Erzählungen“, 1912, den Sammelband mit Erzählungen „Pendelschläge“, 1912. In den späten 1920er Jahren heiratete sie Wilhelm Holzamers Rechtsanwalt, den Justizrat Victor Fraenkl. Sie siedelte mit ihm in die Schweiz und verstarb dort 1946 in Locarno.

 

 

Letzte Feier

 

Wenn ich tot bin, sollst du mein Gedächtnis feiern,

froh mit Liedern und mit frischen Blumen,

froh mit tausend seligen Gedanken, nur nicht weinen sollst du, nur nicht traurig sein,

froh sein, daß ein Irrender den Hafen, daß ein Leidender den Frieden

und ein Suchender die Ruhe fand.

 

Wenn sie kommen, die mich schmähen wollen –

Und sie kommen, jetzt schon seh ich

dumpfen Trittes sie zur Urne ziehn,

wenn sie Steine dann auf meine Asche häufen,

Stein um Stein, bis sich ein Hügel wölbte,

leide nicht, - und lächle hellen Auges,

singe Lieder, die den Frühling feiern,

streue Blumen, die den Sommer krönen,

teile Früchte aus, die dir der Herbst gegeben.

 

Sieh die Wege, die ich ging, sie waren vorgezeichnet,

und ein Höheres schützt mich, das ich selbst nicht weiß,

und das mich ehren wird, bin ich ihm treu gewesen,

und war ich untreu, ewig meine Spur verlöscht.

Kommt der Winter dann, Geliebte, sollst du träumen,

Träume, die in meiner Seele glühten,

da mein Leben all ein starrer Frost war.

 

Wenn ich tot bin, sollst du mein Gedächtnis feiern,

und in Liedern will ich und in Blumen leben,

in der Menge Wüten und Verachtung –

und in deinen Träumen, wenn ich schlafe!

 

 

Nachkommen

 

Hans Detlev Holzamer

 

Von Wilhelm Holzamers Kindern soll hier nur sein Sohn Hans Detlev Holzamer (1901- 1947?) Erwähnung finden. Er war wie sein Vater Lehrer und sehr mit der Bergstraße verbunden. 1942 erschien sein äußerst lesenswertes und weitverbreitetes Werk: „Das Kleine Buch der Bergstraße“ mit wunderschönen Aquarellen des Kunstmalers Walter Kröll.

Inzwischen liegt die dritte Neuauflage durch den schon genannten Bickenbacher Historiker Klaus Böhme und dem Heppenheimer Hansjörg Holzamer vor, der das Buch seines Vaters bereits 1969/70 unter dem jetzigen Titel „Das bunte Buch der Bergstraße“ herausgegeben hatte.

Er veröffentlichte ferner humorvolle Mundart-Kolumnen zu aktuellen Tagesereignissen und begründete die Heppenheimer Festspiele, für die er Freilichtstücke schrieb. Auch seine Werke sind von der Zuneigung zu den kleinen Leuten und lebendigen Charakterstudien geprägt. Hans Holzamer sicherte den Fortbestand des Holzamer-Hauses. Seit den letzten Kriegsmonaten gilt er als vermisst (seit 15.02.1945 in Schneidemühl). Er soll im Sommer 1947 in das russische Lager Pleskov verlegt worden und dort gestorben sein.

 

Hansjörg Holzamer

 

Auch Wilhelm Holzamers vielseitig talentierter Enkel Hansjörg (geb. 9. Februar 1939) wurde Lehrer und tat sich als Literat hervor. In seinem Hauptwerk „Der Flug der Libelle“ (2005) verbindet er politisches Zeitgeschehen an der Bergstraße mit spannenden Ereignissen in den Wirren des 30jährigen Krieges. Darüber hinaus hat er viele Schriften seines Vaters und Großvaters bearbeitet und neu herausgegeben.

Vor allem galt Hansjörg Holzamer heute als einer der gefragtesten und weltbesten Leichtathletik-Trainer. Die Trainer-Legende hat im Laufe ihrer langen Karriere eine beachtliche Reihe von internationalen Spitzenathleten hervorgebracht.

 

 

 

 

 

 

 

 

Autor:

Harald Kandler

 

 

 

 

 

 

 

 

geb. 1949 in Berlin, ist Archivar der "Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen" (VSG) in Bad Homburg. Er ist ausgewiesener Kenner der Malerei in der Epoche der Romantik an der Bergstraße, dem Odenwald und im Neckartal. Als bekennender Bergstraßen-Fan durchstreift er die Landschaft seit vielen Jahrzehnten. Er wohnt in Bad Homburg und Heppenheim.

 

 

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Ein herzliches Danke für die unentgeltliche Unterstützung:

- Hans-Jörg Holzamer

- Harald Kandler, der den Text verfasste, sowie an

- Frau Dr. Weisrock, die  als Fachfrau in Nieder-Olm privat das dortige Archiv aufarbeitet und eine sehr informative Webseite über Wilhem Holzamer aufgebaut hat.

 

 

 

Erinnerungsorte

In Nieder-Olm

 

Neben zahlreichen anderen Erinnerungsorten formierte sich in Wilhelm Holzamers Geburtsort Nieder-Olm ein „Wilhelm-Holzamer-Freundeskreis“, der im Jahre 2007, anlässlich seines 100. Todestages, den Dichter mit drei Veranstaltungen ehrte. Stolz betrachtet man dort seine Schriften als „ein Stück rheinhessischer Kulturgeschichte“. 2009 setzte man sich das Ziel, einen „Holzamer-Literaturweg“ zu schaffen. In Nieder-Olm sind noch viele Schauplätze aus seinen Werken erlebbar, sei es die ehemalige „Wirtschaft zur schönen Aussicht“ an der Pariser Straße aus dem Roman „Vor Jahr und Tag“ und dem schräg gegenüberliegenden Häuschen des Schneiders „Peter Nockler“ oder ein Stück weiter zur Ortsmitte hin das Haus seines Großvaters Andreas Holzamer, dem Holzamer u. a. in seiner Erzählung „Sein letztes Hochamt“ ein Denkmal setzte. Darüber hinaus hat man in Nieder-Olm eine Realschule nach ihm benannt.

 

In Heppenheim

erinnert das Holzamer-Haus, die „Wilhelm-Holzamer-Straße" sowie seine Grabstätte und jetzt auch Die Kleine Chronik an den berühmten Schriftsteller.